Amorphe Metalle als Multitalente in der Medizintechnik
Implantate und Prothesen bestehen bisher meist aus Stahl oder Titan. Das hat Nachteile: Die Materialien lassen sich nicht optimal an Patienten und ihre Knochen anpassen. Sie können schnell brechen, was erneute Operationen erforderlich macht. Neueste Forschungen von Heraeus Amloy gemeinsam mit der Universität Graz stehen hier vor einem Durchbruch: Dank amorpher Metalle lässt sich künftig mittels 3D-Druck oder Spritzgussverfahren die ideale Medizintechnik herstellen.
Wenn ein Patient heutzutage ein Implantat benötigt, muss er viele Kompromisse eingehen. Es gibt nur wenige Grundgrößen, bei Verletzungen nach Unfällen oder Tumoren muss darum improvisiert werden. Der operierende Chirurg biegt die Ersatzteile eines Stück Metalls händisch zurecht und fixiert sie anschließend mit Schrauben am Knochen. Das hält jedoch mal mehr und mal weniger gut, denn die Metalle sind einer echten Dauerbelastung ausgesetzt. Rippenbögen zum Beispiel müssen jährlich circa acht Millionen Atembewegungen standhalten. Nicht selten kommt es daher zu Ermüdungsbrüchen bei den Patienten, weil die Materialien nicht elastisch genug sind. Ein neuer Eingriff wird nötig. Langlebigere und bessere Alternativen gibt es bisher nicht.
Über das Projekt: Implantate aus dem 3D-Drucker
Das will die Geschäftseinheit Heraeus Amloy ändern. Zusammen mit der Universität Graz erforscht das Unternehmen im Rahmen des „Clinical Additive Manufacturing for Medical Applications“-Projekts (CAMed) patientenspezifische Implantate und wie sie in enger Kooperation mit Kliniken hergestellt und eingesetzt werden können. Die komplette Prozesskette der Produktion steht im Vordergrund. Dabei setzen die Projektpartner auf eine additive Fertigung, den 3D-Druck. 3D-gefertigte amorphe Implantate sind biokompatibel und lassen sich individuell an den Körperbau des Patienten anpassen – ein Vorteil vor allem bei komplexen Frakturen. Auch spart das Verfahren Material. Denn der Laser baut nur dort Strukturen auf, wo sie benötigt werden.
Die ersten Erkenntnisse aus dem CAMed-Projekt sind vielversprechend – additiv gefertigte Implantate mit Pluspunkten für Patienten und Krankenhäuser rücken damit in greifbare Nähe. Weitere Anwendungen wie Prothesen oder Herzklappen sind ebenfalls denkbar.
Unser Beitrag: amorphe Metalle für 3D-Druck und Spritzguss
Damit der 3D-Druck jedoch gelingt, braucht es ein besonderes Material. Hier rücken amorphe Metalle, auch metallisches Glas genannt, in den Fokus. Solche Metalle haben sich in der Forschung als wahre Multitalente für die Medizintechnik erwiesen. Denn sie zeigen außergewöhnliche Eigenschaften: Da sie durch Schockgefrieren von metallischen Schmelzen entstehen, haben die Atome keine Möglichkeit, ein kristallines Gitter zu bilden und erstarren ungeordnet (amorph). Diese ungeordnete innere Struktur macht das Material korrosionsbeständig, extrem fest und gleichzeitig hochelastisch. So lässt es sich gleichzeitig nah am Knochen einsetzen als auch individuell zuschneiden, selbst dünnere Platten sind stabil. „Amorphe Metalle haben Stahl und Titan einiges voraus: Dieser Werkstoff vereint die Vorteile von Festigkeit und Elastizität. Er passt sich dem Knochen perfekt an, fördert die Genesung und ist außerdem sehr gut verträglich, da er sich ohne Zelldeformation implantieren lässt“, sagt Valeska Melde, Leitung Marketing & Vertrieb bei Heraeus Amloy.
Heraeus Amloy entwickelt derzeit neue Legierungen für die Herstellung von Implantaten. „Im Rahmen des CAMed-Projekts testen wir aktuell die Legierung AMLOY-ZR02. Ihr Hauptbestandteil ist hochreines Zirkonium und sie ist bereits als biokompatibel zertifiziert“, erklärt Jürgen Wachter, Leiter der Geschäftseinheit Heraeus Amloy. Als einziger Hersteller weltweit bietet das Unternehmen zwei verschiedene Prozesstechniken an: Neben der additiven Fertigung können amorphe Metalle auch im Spritzguss verarbeitet werden. Letzteres würde sich besonders für die Massenproduktion eignen – etwa von chirurgischen Schrauben oder Instrumenten.