Mit leitfähigen Polymeren in neue Touchscreen-Größendimensionen
Der Lehrer steht an der Tafel und die Schüler machen sich Notizen in ihr Schulheft: So sieht der Alltag an vielen deutschen Schulen auch im 21. Jahrhundert noch aus. Vereinzelt eingesetzte interaktive Tafeln sind bisher technisch kompliziert und sehr teuer. Eine deutlich einfachere Lösung für die Zukunft könnten interaktive, touchfähige Displays und Whiteboards sein – quasi ein vollfunktionales Tablet in Tafelgröße. Leitfähige Polymere könnten dieser neuen Art von Touchscreens zum Durchbruch verhelfen. Dafür hat Heraeus Epurio gemeinsam mit dem US-Unternehmen SigmaSense die Technologie entwickelt und einen besonders großen Prototyp vorgestellt.
Polymer-Technologie ähnelt Zeitungsdruck
Der Grund, weshalb sich Touchsensoren auf jedem Smartphone und Tablet finden lassen, aber nicht auf unseren Fernsehern und nur begrenzt auf digitalen Whiteboards, ist einfach: Es sind die Kosten. „Die bisherige Technik beruht auf sehr komplizierten und teuren Herstellungsverfahren und Materialien“, erklärt Armin Sautter, Leiter Technical Service Display bei Heraeus Epurio. Dabei gilt: Je größer das Gerät, desto höher die Kosten. Leitfähige Polymere von Heraeus wären ideale Materialkandidaten, weil sie nicht durch komplizierte und ineffiziente Vakuumprozesse, sondern durch einfache und kostengünstige Nassbeschichtungsverfahren verarbeitet werden können. Es funktioniert ähnlich wie der Druck einer Zeitung, nur das statt Druckerschwärze leitfähige Polymere von Heraeus als Film auf eine Folie aufgebracht werden. Für den Einsatz in großen Touchsensoren reichte bisher aber die Leitfähigkeit der Polymere nicht aus. Zum Durchbruch verhilft nun die neuartige Steuerungselektronik von SigmaSense, die den Einsatz von leitfähigen Polymeren selbst in den größten Displays ermöglicht.
Diese leitfähigen Polymere sind eine spezielle Art von Kunststoffen, die den elektrischen Strom leiten können und gleichzeitig in dünnen Schichten durchsichtig sind. Sie zeichnen sich durch herausragende optische Eigenschaften und mechanische Flexibilität aus. Heraeus hat dazu unter dem Markennamen Clevios bereits eine ganze Produktrange entwickelt. Bei diesen Polymeren handelt es sich nicht um den typischen festen Kunststoff, sondern um flüssige Polymerdispersionen, die aus winzigen Gelteilchen bestehen, die in Wasser stabil verteilt sind. Dadurch lassen sie sich als dünner Film auf Untergründe wie Glas oder Folie flexibel auftragen. Die so entstandene Beschichtung ist hochtransparent und etwa 200-fach dünner als ein Haar. Deshalb eignen sich Polymere besonders gut, um als Sensoren für Displays eingesetzt zu werden. Allerdings sind dazu ein paar Tricks vonnöten: „Flüssigkeiten auf eine Folie aufzubringen, ist nicht einfach. Dazu müssen Additive zugegeben werden, die für eine gleichmäßige Benetzung, eine gute Haftung und Langzeitstabilität auf dem Film sorgen“, erklärt Sautter. Das ist Heraeus und Sigma Sense in Kooperation mit weiteren Partnern bei dem Prototyp besonders eindrucksvoll gelungen: dem weltweit ersten 65-Zoll-PEDOT-Polymer-Touchsensor. Basis dafür war die Clevios PEDOT:PSS Technologie.
Prototyp als Vorlage für touchfähige Großdisplays
Mit dem PEDOT-Polymer Touchsensor kann das Display zum Beispiel als Fernseher im Prinzip das gleiche wie ein Tablet, und sogar noch etwas mehr. So ist der Sensor durch die SigmaSense Elektronik dahinter so empfindlich, dass das Touchdisplay sogar unter Wasser oder mit dicken Winterhandschuhen funktioniert. Auch eine Steuerung über Gesten („Hover“) statt Berührung ist möglich, was in Zeiten von Corona gerade ein besonders spannendes Feature ist.
Schon in diesem Jahr könnten die ersten echten Produkte auf den Markt kommen. Die neue Technologie dürfte nicht nur im Bildungssektor, sondern auch bei Messen, in Museen, an Infopoints, im Produktmarketing und im Fernsehmarkt auf großes Interesse stoßen. Und das ist laut Sautter nur der Anfang: „Ich könnte mir auch Schreibtische vorstellen, die ein einziges großes Display sind. Dann wären Meetings oder Videokonferenzen mit mehreren Teilnehmern deutlich interaktiver und besser abbildbar als jetzt.“